Zurueck

 

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 Hier bin ich Mann, hier darf ich's sein

Das letzte Refugium für echte Kerle:  Fußball gucken in der Kneipe nebenan

Das Paradies liegt nicht in den Tropen und nicht auf Hawaii. Das Paradies liegt jenseits von Afrika in der Klausstraße, Hamburg-Ottensen. Im Paradies riecht es nach Pizza und Bier, Zigarettenqualm und alten Lederjacken. Dreimal im, Jahr versammeln sich ungefähr hundert Männer im Paradies, um wenigstens für ein paar Stunden Mann zu sein. Und nichts als Mann. Dreimal im Jahr läuft großer Fußball im Paradies, auf zwei großen Fernsehern. Denn "Premiere“ ist Haussender im Paradies, und wenn "Premiere" Fußball zeigt, kann das nur erleben, wer sich für viel Geld einen Decoder mietet. Weil sich das aber nicht lohnt für die miese Bundesliga und richtig großer Fußball eben nur dreimal im Jahr zu besichtigen ist, kaufen nur Hirnis einen Decoder. Und die anderen ziehen ein ins Paradies.

Das Paradies sieht nicht unbedingt so aus, wie viele sich das Paradies vielleicht vorstellen: Holzstühle, Holztische, Holzfußboden, ein Billardtisch in der Ecke, Kickerautomaten im Nebenzimmer. Überall sitzen und stehen Männer, die sich spätestens um acht Uhr abends von Frau, Freundin, Kindern abgeseilt und denen zum Abschied ein Es könnte unter Umständen ein bisschen später werden" hingenuschelt haben.

Was eine glatte und vorsätzliche Lüge ist. Denn jeder Mann weiß, dass es nicht ein bisschen später werden wird, schon gar nicht unter Umständen, sondern: sehr spät. Oder: ganz früh. Alle im Paradies sind Lügner. Und alle im Paradies, sorry, Alice Schwarzer, sind Männer. Bis auf zwei Evas, die uns dienen, klaglos. Die Bier schleppen für uns, viel Bier, Hektoliter Bier. Die das sogar toll finden, Hektoliter  Bier zu schleppen für uns. Die nicht meckern, wenn wir krakeelen, weil der weiche Jancker, Bayern München, aus fünf Metern nur den Torwart von Manchester United trifft. Vor allem: Die nicht die dümmste Frage aller Fragen stellen - "Was ist Abseits?" Die eigentlich nur eine Frage stellen "Noch'n  Bier?", was einerseits auch eine dumme Frage ist, aber andererseits gerade noch tolerabel.

Und die sonst die Klappe halten und dem Manne dienen, klaglos.

Prost.

So ist das im Paradies, jenseits von Afrika und gleich um die Ecke in der Klausstraße, Hamburg-Ottensen. Für die meisten Frauen ist unser Paradies bestimmt die Hölle, und das macht das Paradies so wertvoll. Wir sind unter uns, wir etwa hundert Lügner. Wir dürfen ungestraft und ununterbrochen inhaltsfreies Zeug brabbeln.   Wir dürfen pöbeln saufen, rauchen, und in der Halbzeitpause erzählen wir uns gegenseitig die schönsten frauenfeindlichen  Witze. Niemand sagt: "Gröl-nicht-so-rum-trink-nicht-so-viel-rauch-nicht-so-viel« Alle sagen: "Noch'n Bier, ach was, bring gleich drei“. Hier stehen wir und können nicht anders. Hier bin ich Mann, hier darf ich's sein. Wohlsein.

Früher, erzählen die Älteren, war das Paradies überall, wo ein Fernseher stand. Früher, als der Fußball noch schwarzweiß war und TV-Geräte so selten waren wie große Spiele heute. Das war in den 50er und 60er Jahren und Fußball ein seltenes Fest. Vielleicht war ja früher wirklich alles besser. Oder wenigstens ein bisschen besser. Da versammelten sich die Männer regelmäßig in den Kneipen zum Fußballgucken, weil sie zu Hause nicht mal in die Röhre gucken konnten. Die Männer haben sich seitdem nicht verändert. Der Fußball schon, das Fernsehen auch. Deshalb lieben wir das Paradies. Es ist unser letztes, unser allerletztes Refugium, dreimal im Jahr.

Das Paradies dauert 90 Minuten plus Verlängerung. Unglückseligerweise ist irgendwann alles aus und vorbei. Auch die zwölfte Wiederholung von Bayerns abscheulichem Siegtor und das letzte dämliche Interview. Dann wird das Licht heller, und Eva schwebt herein, ohne Bier. Sie stellt den Fernseher aus, gnadenlos. Sie beugt sich über den Tisch und präsentiert die Rechnung, und man erschrickt ganz furchtbar und lallt Nu hör aber auf Das kannnn gaaar nich sein', und sie lächelt zuckersüß und sagt „Und ob das sein kann". Es war schon immer ein kleiner Haken am Paradies.

Man zahlt schließlich unter Protest und schwurbelt ein "Nie wieder setz ich aber auch nur eeiin Fuß in dies Etablissse, Etablisssse, äh, in dies Lookaaal" ' aber Eva lächelt weiter, weil sie weiß, dass wir alle Lügner sind und Betrunkene eben keineswegs immer die Wahrheit sagen, nicht mal im Paradies. Denn demnächst läuft wieder großer Fußball auf „Premiere", und wir werden selbstverständlich wieder einziehen ins Paradies. Und morgens drauf aufwachen mit roten Augen, diesem berühmten pelzigen Belag auf der Zunge und höllischen Phantomschmerzen dort, wo abends zuvor im Paradies noch das Hirn saß. Die Frau irn Bett neben einem guckt mitleidslos und stellt vorsichtig und leise die zweitdümmste aller Fragen: "Wie war's denn gestern?« Und man antwortet: "Och, wie immer«

 

 

  Kolumne von Michael Streck im Stern 18/2001 Seite 76

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